In letzter Zeit habe ich mir bestimmte Eigenschaften der Bewohner dieser schönen Stadt zu Eigen gemacht. Permanent Leute anzuquatschen beispielsweise. Man nennt das wohl wohlwollend Berliner Schnauze. So auch vorhin in einem Dönergrill im Prenzlauer Berg – einfach mal den Hartmut gefragt, ob er schon Erfolg an den beiden Spielautomaten hatte. In selbige hatte er just 14 Euro versenkt. In der einen Hand die Duett, in der anderen den halben Liter Berliner Pilsener. Wie er zugab, hatte er bereits einige davon getrunken. Auf meine Einlassung hin, dass ich kein Spieler sei, meinte er nur: „Ihr jungen Menschen könnt euch ja noch mit Sex ablenken.“ Er zitierte Wilhelm Busch, Kurt Tucholsky und Heinz Quermann. Zitate von Freundschaft und Einsamkeit.
Hartmut war einst Bäcker, nach der Wende arbeitslos geworden. Flog davor sogar aus der SED. Anfang 60 mag er wohl gewesen sein. Vielleicht auch schon Ende. Frührentner. Die Automaten ratterten unaufhörlich. Er war intelligent und erstaunt, dass ich noch Herbert Köfer kannte. Dafür bekam ich neben seinem Respekt auch einen Kaffee spendiert. Leider scheiterte ich bei der Frage nach dem DDR-Spion, dessen Existenz das Ende der Ära Willy Brandt einläutete. Somit hatte ich eine zweiten Tasse leichtfertig verspielt. Heute weiß ich, dass es sich um Günter Guillaume handelte. Er fragte, ob man die DDR mit dem Dritten Reich vergleichen könne. Meine Antwort enttäuschte ihn. Wer intelligenter sei, Gregor Gysi oder Michel Friedmann. Dass das Leben seit seiner Scheidung einsam ist. Was wichtiger sei, Liebe oder Freundschaft. Die Automaten kauten seine Münzen.
Auf meine Frage, wen man denn nun am 18. September wählen könne, wusste er eine Antwort. Er habe immer PDS gewählt. Aber jetzt, wo die Mehrwertsteuer erhöht werden soll, kann es nur die SPD sein. Jawohl, die SPD. Wie solle man als Rentner das auch alles bezahlen, sagte er und zündete sich bereits die vierte Duett an. Meinem Argument, dass sie ab morgen wieder teurer werden würden, entgegnete er: „Hab vorhin schon mehr bezahlt als sonst.“
Die Ausbildung sei früher besser gewesen. Viel besser als im Westen. 1990 traf er mal in einer Speisegaststätte einen Ingenieur von Siemens. Sein bester Freund, Elektroingenieur aus Ost-Berlin, meinte nach der vierten Frage an den Siemens-Herren: „Lass ab, Hartmut, der versteht mich schon nicht mehr.“ Für Hartmut waren das alles „böhmische Dörfer“, wie er selbst anmerkte, aber die Ausbildung war auf jeden Fall früher besser.
Als ich ging, waren beide Automaten satt.