[Foto: Ute Fahlenbock] Die verschiedenen Leinen der einzelnen Auflagen. (Das Original-Leinen war eine Weile nicht verfügbar.)
Wie oft kommt es vor, dass ein Roman nicht nur vom Feuilleton, sondern auch von Designkritikern in höchsten Tönen gelobt wird? Allzu selten. Wenn dann noch Autorin und Gestalterin des Buches die selbe Person sind, wird der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein Schnippchen geschlagen. Während Judith Schalansky in den Kulturressorts der Republik für ›Der Hals der Giraffe‹ artikelweise wohlwollende Worte erntet, zeichnete die Stiftung Buchkunst ihr gestalterisches Können mal eben mit dem Preis für das schönste deutsche Buch des Jahres aus. Zum zweiten Mal übrigens nach 2009.
Das Fontwerk, euer Magazin für ganzheitliche Buchkonzepte, wollte selbstverständlich mehr über das Erfolgsgeheimnis der ehemaligen Typostammtischreferentin wissen. Ich interviewte Judith zu den grafischen Hintergründen des in grobem Leinen gekleideten Bestsellers, den ich nur zu gern als sexy im Äußeren und schlau, tiefsinnig und eloquent im Inneren charakterisiere. Selten hat eine im kühlen Mecklenburg-Vorpommern spielende Geschichte in seiner Gesamtheit derartige Attribute vereinen können.
— Welche Rolle spielt Typografie in deiner gestalterischen Arbeit?
Die größtmögliche. Als Buchgestalterin bin ich natürlich zuerst Typografin. Im Ernst: Bevor ich nicht weiß, welche Schrift ich nehme, fange ich nicht an.
— Welche Schrift hast du für Titel und Inhalt gewählt? Welches waren dafür deine Kriterien? Hat die Geschichte dabei selbst auch Einfluss auf die Schriftwahl?
Es ist die Miller von Matthew Carter, eine Scotch Roman, die dem Text einen etwas altmodischen, naturwissenschaftlichen Touch gibt. Viele alte Sachbücher, die ich für den Roman konsultiert habe, sind in ähnliches Schriften gesetzt. Wichtig war mir, dass es nicht zu belletristisch wirkt. Und als ich entdeckte, dass die Miller auch noch Display-Schnitte und kursive Kapitälchen besitzt, war es sowieso um mich geschehen. Für die Schrift auf dem Umschlag habe ich die Buchstaben des Display-Schnittes allerdings von Hand und bewusst unregelmäßig nachgemalt, um der Titelei auf dem groben Leinen einen robusten Charme zu verleihen.
— Wie konntest du deinen Verlag Suhrkamp überzeugen, für die Gestaltung selbst die Verantwortung zu übernehmen? Inwiefern hattest du dabei tatsächlich freie Hand?
Ich hatte das Glück, dass der Verlag sich von Anfang an gewünscht hat, dass ich mich auch um die Gestaltung kümmere. Da rannte ich also offene Türen ein. Sicherheitshalber hatte ich es mir auch in den Vertrag schreiben lassen. Aber ein Buch zu machen, dass nur mir gefällt, hätte mich nicht interessiert. Ich habe also herumgewerkelt, mich mit meiner Lektorin und meiner Herstellerin beraten und schließlich meinen Entwurf als Dummy der Verlagsleitung präsentiert. Die waren sofort überzeugt.
— Für ›Der Hals der Giraffe‹ hast du ganz bewusst auf einen Schutzumschlag verzichtet. Warum?
Mal abgesehen davon, dass das altmodische und etwas karg wirkende Leinen zu der Protagonistin, einer älteren, strengen Biologielehrerin mit Vorliebe für Frontalunterricht, gut passt, mag ich Schutzumschläge einfach nicht. Mein Erweckungserlebnis war die Tschichold-Lektüre: Als ich bei ihm las, dass der Einband das eigentliche Kleid des Buches sei, der Schutzumschlag aber nur sein Regenmantel, habe ich sofort alle Umschläge von meinen Büchern gerissen. Und was dabei zum Vorschein kam, war umso ansehnlicher, je älter die Bücher waren. Die Gestaltung des Einbandes wird heute sträflich vernachlässigt. Und so lange sich das nicht ändert, möchte ich bei meinen Büchern auf Schutzumschläge verzichten.
— Hattest du auch Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der eBook-Version?
Es hat mich nicht interessiert.
— Stehst du eBooks grundsätzlich optimistisch oder eher skeptisch entgegen?
Ach, für gewisse Inhalte ist es schon ganz gut, dass sie gut verschlagwortet und leicht transportierbar zugänglich gemacht werden. Nicht für jede Doktorarbeit, nicht für jeden Unterhaltungsroman sollten Bäume sterben müssen.
— Beginnst du bereits vor der inhaltlichen Fertigstellung eines Buches mit dessen Gestaltung? Hast du während des Schreibens schon eine Vorstellung von der späteren gestalterischen Richtung?
Eigentlich beginnt die Gestaltung schon vor dem Schreiben. Als ich wusste, dass es ein Roman werden würde, war das Format im Grunde klar. Dann wollte ich endlich mal ein Buch über 200 Seiten schreiben. Also habe ich geschaut, was die optimale Druckbogenausnutzung ist. Noch bevor ich anfing, war mir klar, dass das Buch 224 Seiten haben wird. Während der Arbeit am zweiten Kapitel wurde ich plötzlich unruhig, weil ich noch nicht wusste, wie das Buch von außen aussehen würde. Also habe ich erst einmal das Cover entworfen, ehe ich weiterschreiben konnte.
— Warum folgen die meisten Buchtitel immer den selben Mustern? Müssten die Buchverlage angesichts der wachsenden digitalen Konkurrenz nicht viel mehr Mut beweisen und außergewöhnliche Wege gehen?
Buchtitel werden ja oft schon gestaltet, bevor das Manuskript fertig ist. Und da wird in den seltensten Fällen vom Text, von dem Buch an sich, ausgegangen, sondern vielmehr von einer Idee der Lektoren oder einer Vorstellung der Vertreter. Natürlich wird sich das jetzt ändern müssen. Jedes gedruckte Buch, das zukünftig erscheint, muss sich seines Buch-Seins sehr bewusst werden und beweisen, warum es nicht als Datenmasse auf die Welt gekommen ist. Dazu gehört, dass Inhalt und Form sich in diesem Medium wirklich begegnen.
— Wie hoch schätzt du in diesem Zusammenhang die Gestaltung des Buches als mitverantwortliche Ursache des Verkaufserfolges ein? Wäre es auch mit einem durchschnittlichen Design erfolgreich geworden?
Schwer zu sagen, weil ich dieses Buch als ein anderes, weniger angemessen gestaltetes, gar nicht denken kann. Ich glaube aber, dass die Leute sehr genau wahrnehmen, wenn Form und Inhalt so gut zueinander passen, dass sie als eine Einheit wahrgenommen werden.
— Wie kann man Auftraggeber von der Wichtigkeit guter Gestaltung überzeugen?
Einen Dummy basteln. Es geht nichts über diese Anschauung. Die Dinge fangen erst an zu leben und zu überzeugen, wenn man sie in die Hand nehmen kann.
— Mit welchem Buch möchtest du in drei Jahren Titelhattrick der Stiftung Buchkunst für das schönste deutsche Buch erzielen? Im Ernst, was darf man als Nächstes von dir erwarten?
Ich arbeite gerade an einer kleinen Reihe namens ›Naturkunden‹, die ab Frühjahr beim Matthes & Seitz erscheinen wird. Ich bin Herausgeberin und Gestalterin dieser Bücher. Das Tolle dabei ist, dass ich mir Bücher ausdenken kann, aber sie nicht schreiben muss.